Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen
- alexandrakick8
- 30. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Ressourcen & Resilienz

Die Auswirkungen unseres menschlichen Handelns auf die Systeme der Erde sind vielfältig und gehen weit über Treibhausgas-Emissionen hinaus. Ebenso haben die Veränderungen unseres Erdsystems eine Vielzahl an Folgen, insbesondere für das menschliche Leben, teils offensichtlich, teils nur schwer zu erkennen, jedoch nicht weniger gravierend. Demnach stellt sich irgendwann die Frage: Wann ist dieses "zu viel" eigentlich wirklich zu viel?
Diese Risikofaktoren und wie sie sich auf uns Menschen auswirken, wurden 2009 systematisch von einem Team an Wissenschaftler:innen untersucht und quantifiziert. Die Idee war simpel und dennoch irgendwie radikal: Gibt es biophysikalische Grenzen, innerhalb derer sich die Menschheit entwickeln kann, ohne die eigenen Lebensgrundlagen zu gefährden? Kurzer Spoiler: "Ja, und leider haben wir viele dieser Grenzen bereits überschritten."
So entstand das Konzept der planetaren Grenzen, damals unter der Leitung des schwedischen Forschers Johan Rockström vom Stockholm Resilience Center. Die Forscher:innen identifizierten biophysikalische Systeme und Prozesse des Erdsystems, die zusammen einen sicheren Handlungsraum für uns Menschen schaffen. Werden diese planetaren Grenzen überschritten, erhöht sich das Risiko großräumiger, abrupter oder irreversibler Umweltveränderungen, die die Stabilität unseres Planeten gefährden. (Rockström et al., 2009)

Das Konzept der planetaren Grenzen ist einzigartig, weil es aufzeigt, dass die planetare Krise mehr als nur eine Treibhausgas-Thematik ist und die Systeme und Prozesse miteinander in Wechselwirkung stehen.
Es verdeutlicht, dass wir systematisch an der Art und Weise etwas ändern müssen, wie wir mit den endlichen Ressourcen unseres Planeten umgehen.
Abbildung 1 zeigt den aktuellen Status der neun planetaren Grenzen. Jedes Feld repräsentiert eine planetare Grenze, und die Farbe gibt an, ob und wie weit die Grenze schon überschritten ist.
Grün bedeutet, dass wir uns noch innerhalb der Belastungsgrenze befinden.
Orange zeigt an, dass die Grenze überschritten wurde und das Risiko für Kipppunkte zunimmt.
Rot steht für den Hochrisikobereich.
Die Einordnung in Grün, Orange und Rot geschieht über sogenannte Kontrollvariablen. Eine Kontrollvariable ist eine messbare Größe, anhand derer eine planetare Grenze quantifiziert wird. Eine Kontrollvariable kann auch ein Ersatzindikator für den Zustand des Systems/Prozesses mit planetarer Grenze sein, ein sogenannter "Proxy", der auf der Grundlage unseres wissenschaftlichen Verständnisses und der Verfügbarkeit von globalen Daten ausgewählt wird, und möglichst nah an die Größe herankommt, die idealerweise gemessen werden sollte. (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 2025)
Die neun Grenzen und deren Entwicklung
Klimawandel: Die wichtigste Grenze, die insbesondere durch Treibhausgasemissionen überschritten wird. Die Kontrollvariablen sind die Atmosphärenkonzentration von CO2 in ppm (Achtung, nicht CO2-eq) und die Strahlungsbilanz der Erdoberfläche in W/m². → Beide Variablen liegen deutlich außerhalb des sicheren Bereichs.
Verlust der Biosphären-Integrität (Biodiversität): Das Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen. Die Rate des Artensterbens (E/MSY) wird als Proxy für genetische Vielfalt herangezogen und der menschliche Anteil an der globalen Nettoprimärproduktion (HANPP) für die funktionale Integrität der Biosphäre. → Beide Aspekte sind stark überschritten.
Landnutzungsänderungen: Die Umwandlung von Wäldern und natürlichen Flächen in Ackerland oder Städte. Die entsprechende Kontrollvariable ist der weltweit verbleibende Anteil der ursprünglichen Waldbedeckung. → Grenze bereits überschritten, v. a. durch tropische Entwaldung
Süßwasserverbrauch: Die Entnahme von Süßwasser über die Regenerationsfähigkeit hinaus. Hier wird zwischen zwei Kontrollvariablen unterschieden: Blue Water (Oberflächen- und Grundwasser) und Green Water (Bodenfeuchtigkeit und pflanzenverfügbares Wasser). → Beide sind inzwischen überschritten (neue Erkenntnis seit 2023)
Biogeochemische Kreisläufe (Stickstoff & Phosphor): Die Überlastung natürlicher Kreisläufe durch Düngemittel und Abwässer. Kontrollvariablen sind die anthropogene Fixierung von Stickstoff (in Teragramm pro Jahr), sowie der Eintrag von Phosphor in aquatische Ökosysteme. → Beide sind deutlich überschritten.
Ozeanversauerung: Die Aufnahme von CO₂ durch die Ozeane, die ihren pH-Wert senkt und kalkbildende Organismen gefährdet. Die Kontrollvariable ist der Sättigungsgrad von Aragonit – ein Maß für die Verfügbarkeit von Karbonat-Ionen. → Noch innerhalb des sicheren Bereichs, aber nahe an der Schwelle.
Neue Entitäten (Chemische Verschmutzung): Die Freisetzung neuer, vom Menschen stark veränderter oder geschaffener Substanzen wie Kunststoffe, Pestizide und Schwermetalle sowie auch Industriechemikalien wie bspw. PFAS. → Hier gibt es keine klar definierte Kontrollvariable, aber die Belastung gilt als weit über dem sicheren Maß.
Stratosphärischer Ozonabbau: Die Ausdünnung der Ozonschicht, vor allem durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs). Die Kontrollvariable ist die globale durchschnittliche Ozonkonzentration. → Dank internationaler Abkommen (z. B. Montreal-Protokoll) weitgehend stabilisiert – innerhalb des sicheren Bereichs.
Atmosphärische Aerosolbelastung: Die Menge an Partikeln in der Atmosphäre, die Klima und menschliche Gesundheit beeinflusst. Kontrollvariable ist der interhemisphärische Unterschied in der Aerosoloptischen Tiefe (AOD). → Grenzwert noch nicht überschritten, aber regional unterschiedlich stark gefährdet.
Die Belastbarkeitsgrenzen und Kontrollvariablen wurden seit 2009 wiederholt analysiert und bewertet. Die aktuellsten Daten zeigen einen klaren und rasanten Negativtrend: mittlerweile wurden sechs der neun Grenzen überschritten. Das bedeutet, dass wir uns außerhalb des sicheren Handlungsraums für uns Menschen bewegen. Einige der Konsequenzen sind Extremwetterereignisse, die Degradierung der Böden und Artensterben. Diese bergen bereits heute spürbare Auswirkungen wie steigende Kosten für Instandhaltung von Infrastruktur, Ernteausfälle mit entsprechenden Teuerungen und Einschränkungen in der Lebensmittelversorgung sowie erhöhte Aufwände in diversen Bereichen durch Wegfallen von Ökosystem-Dienstleistungen wie bspw. natürliche Bestäubungs-Zyklen in der Landwirtschaft. (Richardson et al., 2023)

Der "sichere und gerechte Raum" – Donut Economics
Während die planetaren Grenzen die ökologischen Obergrenzen definieren, die wir nicht überschreiten sollten, gibt es auch soziale Grundlagen, die wir nicht unterschreiten sollten. Kate Raworth hat diese beiden Grenzen zusammengebracht in ein Konzept, die Doughnut Ökonomie. Es visualisiert einen 'sicheren und gerechten Raum für die Menschheit', der zwischen zwei Ringen liegt: dem äußeren Ring der planetaren Grenzen (die ökologischen Obergrenzen) und dem inneren Ring der sozialen Grundlagen (die Mindestanforderungen für ein menschenwürdiges Leben, wie Zugang zu Nahrung, Wasser, Bildung und Gleichheit).

Das Ziel ist es, in diesem Donut zu wirtschaften – also die Bedürfnisse aller Menschen zu erfüllen, ohne die ökologischen Grenzen des Planeten zu überlasten. Beides miteinander in Verbindung zu sehen, ist wichtig, denn die Überschreitung der planetaren Grenzen gefährdet die Fähigkeit, die sozialen Grundlagen zu sichern. Eine gesunde Umwelt ist die Basis für eine gerechte Gesellschaft. Die Kreislaufwirtschaft ist ein Schlüsselkonzept, um diesen 'Donut' zu erreichen, da sie sowohl ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigt und uns hilft, diesen schmalen, lebenswichtigen Korridor zu finden." (Raworth, 2017)
Der Ressourcenverbrauch und die planetaren Grenzen
Das heutige Wirtschaftssystem basiert noch größtenteils auf einem linearen Modell. Vereinfacht gesagt, entnehmen wir Rohstoffe aus der Erde, produzieren daraus Güter, nutzen diese und entsorgen sie anschließend. Das benötigt Energie, erzeugt Abfälle und Emissionen und belastet Ökosysteme. Der Ressourcenverbrauch (*) ist für mehr als 55 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Der Global Resources Outlook des Internal Resource Panel zeigt, dass sich der globale Ressourcenverbrauch in den letzten 50 Jahren mehr als verdreifacht hat und bis 2060 voraussichtlich um weitere 60% ansteigen wird. (UNEP, 2024)
(*) Umfasst den Anbau von Biomasse, die Gewinnung und Verarbeitung von mineralischen und fossilen Rohstoffen für Materialien, Kraftstoffe und Lebensmittel.

Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen
Die Reduktion des Ressourcenverbrauchs ist ein zentraler Hebel für ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen.
Wenn wir es schaffen, ⅓ weniger Materialien als heute zu verbrauchen, können wir die Überschreitung von bis zu fünf der planetaren Grenzen wieder rückgängig machen. (Circle Economy, 2023)
Das hört sich im aktuellen, linearen Wirtschaftssystem vor allem nach Verzicht an. In einer Kreislaufwirtschaft hingegen ist das überhaupt nicht der Fall. (Ellen Mac Arthur, 2022) Im Gegenteil: Produkte und Materialien smarter und länger zu nutzen birgt neben dem ökologischen Mehrwert der Ressourcenschonung auch ein hohes Innovationspotenzial. (Stichwort R-Strategien & zirkuläre Geschäftsmodelle).
Schon heute machen Unternehmen wie signify, refurbed, Caterpillar uvm. vor, wie zirkuläre Strategien zum Wettbewerbsvorteil werden können.
Die planetaren Grenzen zeigen wissenschaftlich fundiert, wie sich die Krisen unserer Erde verschärfen. Die Kreislaufwirtschaft bietet eine Möglichkeit, Treibhausgasemissionen sowie unseren Bedarf an Land, Wasser und Energie zu senken. (Ellen Mac Arthur Foundation, 2022)
Worauf warten wir?
Geschrieben von Alexandra Kick
Quellen
Circle Economy & Deloitte, Circularity Gap Report 2023. https://www.circularity-gap.world/2023
Ellen Mac Arthur Foundation, 2022. How the circular economy can help us stay within planetary boundaries. Aufgerufen am 29.07.2025. https://www.ellenmacarthurfoundation.org/articles/how-the-circular-economy-can-help-us-stay-within-planetary-boundaries
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 2025. Planetare Grenzen - Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit. Aufgerufen am 29.07.2025. https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/planetare-grenzen#:~:text=Zu%20diesem%20Zweck%20wurden%20acht,auf%20der%20Erde%20umfassend%20abdecken.
Raworth, Kate (2017): Doughnut Economics: Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist. Chelsea Green Publishing
Richardson, Katherine, Will Steffen, Wolfgang Lucht, Jørgen Bendtsen, Sarah E. Cornell, Jonathan F. Donges, Markus Drüke, et al. 2023. ‘Earth beyond Six of Nine Planetary Boundaries’. Science Advances 9 (37): eadh2458. https://doi.org/10.1126/sciadv.adh2458.
Rockström, Johan, Will Steffen, Kevin Noone, Åsa Persson, F. Stuart Chapin, Eric F. Lambin, Timothy M. Lenton, et al. 2009. ‘A Safe Operating Space for Humanity’. Nature 461 (7263): 472–75.https://doi.org/10.1038/461472a.
Steffen, Will, Katherine Richardson, Johan Rockström, Sarah E. Cornell, Ingo Fetzer, Elena M. Bennett, Reinette Biggs, et al. 2015. ‘Planetary Boundaries: Guiding Human Development on a Changing Planet’. Science 347 (6223): 1259855. https://doi.org/10.1126/science.1259855.
UNEP, International Resource Panel. Global Resources Outlook 2024. https://www.unep.org/resources/Global-Resource-Outlook-2024
Wikimedia Commons, aufgerufen am 29.07.2025 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Doughnut_economy_DE_normal.svg
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